Symmetrische Konflikte: Wenn bunt blöd macht

„Was wir hier versuchen, das ist, Menschen zusammen zu bringen, die eben üblicherweise zu unterschiedlichen Untergruppen gehören, die aber trotzdem etwas verbindet, nämlich zum Beispiel die ähnliche Zielsetzung (Verbesserung der Welt – sage ich das mal allgemein…). Man hat ähnliche Vorstellungen davon, wie Welt zum Beispiel sein sollte, aber man kommt trotzdem nicht zusammen, weil man unterschiedliche Erklärungen konstruiert dafür, warum alles so ist, wie es ist und daraus ganz unterschiedliche Handlungskonsequenzen ableitet. Was wir hier versuchen, ist unterschiedliche Menschen … zusammen zu bringen und einen Konflikt möglich zu machen; einen konstruktiven Konflikt, den Konflikt als Ressource zu nehmen, Positionen gegeneinander zu setzen, die üblicherweise nicht gegeneinander gesetzt werden, weil man sich gar nicht trifft, weil man gar nicht miteinander ins Gespräch kommt. …“


Prof. Dr. Fritz B. Simon im Einführungsvideo über die Carl Auer Akademie.
https://www.youtube.com/watch?v=i8_ZX_4oPo8

Im letzten Jahr (2016) hat Ralf Peyn (seines Zeichens Gespons) – nach einer spannenden Diskussion mit Prof. Dr. Dirk Baecker von der Universität Witten/Herdecke und eben Fritz B. Simon – über einem Konfliktpunkt in den Laws of Form von George Spencer Brown einen (auf einer eigenen Erkenntnislogik basierenden, mit dem Unbestimmten rechnenden) Kalkül ausgearbeitet, der beschreibt, wie Entscheidungssysteme organisiert sind und wie der Mensch zum Zeichen und zu Sprache kommt.


Eine Anwendung aus dieser Arbeit uFORM iFORM sind die sogenannten „SelFis“.


SelFis – visuelle Interpretationen von Subsystemen selbstreferenzieller Systeme spezifischer FORM – sind Fraktale, die systemische Prozesse beschreiben. Es handelt sich bei ihnen um Computerprogramme, konstruiert, um Formen komplexer Systeme zu interpretieren, zu visualisieren und zu analysieren.


Das Aufregende an ihnen ist, dass sie uns dazu befähigen, alltägliche Organisationsformen von Systemen mit ihnen zu vergleichen und zu beschreiben und aufgrund der Analysen Vorhersagen zu formulieren. Meint: Wir können auch Konfliktstrukturen untersuchen, Konfliktsysteme. Und man kann daran erkennen, welche Merkmale symmetrische Konflikte haben und ab wann es überhaupt erst kreativ wird.


 


Ich führe das mal an zwei SelFis vor, nämlich dem SelFi Slit und dem SelFi CoOneAnother.


Slit, 187er Auflösung:


 



 


CoOneAnother, 187er Auflösung:


 



 


Es ist sinnvoll, sich die Videos auf Youtube im Vollbildschirmmodus anzusehen. Für Interessierte existieren noch mehr Videos hier: FORMWELT/WELTFORM-Youtube-Channel und natürlich als Programme zum Download auf unserer Website. Das Buch ist beim Carl Auer Verlag, Verlag für systemische Forschung, erhältlich.
Die Farben:
Schwarz: die FORM ist leer, unmarkiert
Blau: die FORM ist markiert
Rot: die FORM ist unbestimmt
Grün: die FORM ist imaginär


 


Es ist nicht nötig, gleich die ganze Theorie dahinter zu kennen, man kann auch so schon daran etwas sehen:



  • Slit ist bunt, voller Action. Es passiert ständig etwas.

  • CoOneAnother hingegen bildet Strukturen aus.


Mit SelFis können wir zum Beispiel kognitive oder Kommunikationssysteme beschreiben.


Greifen wir uns doch gleich ein Beispiel, das für Slit sehr gut passt: Facebook!


Mit Slit beschrieben können wir das Facebook zugrunde liegende Kommunikationsmuster so fassen: „Guck mich an und nicht Dich!“, „Nein, guck mich an und nicht Dich!“


 


Begreift man Kommunikation als dreifache Selektion aus Meinen/Mitteilen/Verstehen, Ego als denjenigen, der versteht, und Alter als denjenigen, der mitteilt und dem Ego ein Meinen unterstellt, ist das hier ein ziemlich ziemlich langweiliger Tanz.


Begreift man Kommunikation als dreifache Selektion aus Meinen/Mitteilen/Verstehen, Ego als denjenigen, der versteht, und Alter als denjenigen, der mitteilt und dem Ego ein Meinen unterstellt, ist das hier ein ziemlich ziemlich langweiliger Tanz.

 


Es sieht bunt aus, ständig scheint etwas Neues zu passieren, aber der Kernkonflikt hat doch eine ganz einfache, ja narzisstische Form. Und diese Form ist überall. Sie lässt sich mit dem Rauschen auf dem Fernsehbildschirm vergleichen, nur können wir sie uns mehrdimensional vorstellen, und sie fragmentiert.


Am Anfang ist noch Kreativität da, aber sie verrauscht. Wo alles wichtig ist, ist nichts mehr wichtig. Wo jeder um Bedeutung kämpft, hat niemand mehr Bedeutung. Die Hose mit Schlag hat dieselbe Wertigkeit wie ein Beitrag über Donald Trump. Alle schreien, keiner hört mehr zu – eine Kakophonie der Aufmerksamkeitssehnsucht. Privates und Öffentliches wird nicht mehr unterschieden, der Döner am Abend wird im gleichen Design präsentiert wie Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. Sätze wie „Dann schicken wir sie eben zurück ins Meer“ erschrecken nicht mehr: Die Beiläufigkeit des Bösen als Resultat einer trivial-narzisstischen Konfliktstruktur wird genauso Realität wie der Impuls zu starke Konflikte (wie Bilder von verhungernden Kindern oder aus dem zerbombten Syrien) wegzuklicken, wenn der Reiz sie zu teilen in der Frustration, die das System mit sich bringt, verloren gegangen ist.


Systeme dieser Art laufen in dissipative, in sich zerstreuende Strukturen aus. Sie erinnern an Cantor-Staub, an Wischmengen. Am Ende lösen sie sich auf – und rekonstituieren sich. Ihr Zyklus ist genauso langweilig wie ihr Innenleben. Ein Krieg beispielsweise kann die Auflösung einer solchen Struktur bewirken, und sobald die Anfangskreativität des Wiederneuaufbaus verrauscht ist, organisiert sich die alte Struktur der Formen neu. „Es ist alles so schön bunt hier, ich kann mich gar nicht entscheiden!“ – die emotional-kognitiven Wirkungen solcher Strukturen sind Überforderung, die in einem Mehr-Desgleichen resultieren … und in dem Versuch einiger, an anderer Stelle etwas anderes zu initialisieren: wie die Carl Auer Akademie.


Der triviale symmetrische Konflikt hat eine alles plättende Wirkung. Es kommt zu aggressiveren Kurzauseinandersetzungen, die aber keine kreative Kraft haben – man ‘entfreundet’ oder ‘blockiert’ sich, und das „Nein, guck mich an“ hat nur dann eine halbwegs stabilisierende Wirkung, wenn das, was gesehen wird, Gleiches liefert und somit nicht konfliktbelastet ist. Man erkennt sich selbst im anderen, der Widerspruch hat jeden weiteren systemdifferenzierenden Reiz verloren. Die Stabilisierungswirkung dieser Form verhindert eine neue Ideen tragende, höheren Konsens schaffende Auseinandersetzung. Es ist ein Reiz-Reaktions-System, ein System trivialen Widersprechens auf der Basis einfacher Trigger. Die bunten Farben täuschen – Neues hat Slit nicht zu bieten, es hätte darin keinen Bestand.


Symmetrische Konflikte lassen keine Binnendifferenzierung in gesondert auszumachenden Formen, Mustern und Zyklen zu. Sie bilden keine Kooperationsinseln aus, die Konflikte haben keine tragende Kraft. Sie verblöden: Sie sind selbst nicht intelligent, und komplexere, intelligentere Konflikte schaffen es auch nicht, sich in ihnen zu etablieren. Es kann zu vereinzelten, isolierten Bemühungen um kreativere Auseinandersetzungen kommen, die haben aber keine Auswirkung auf das Gesamtsystem, das – ganz im Gegenteil – eben immer weiter fragmentiert und dabei auch das am Ende mit zerstückelt, was um anderes bemüht ist. Populismus und Faschismus sind Resultate, aber auch treibende Kräfte und Motiv solcher Systeme: Die abgrenzende Ideologie, die wie ein Betonfundament das „Guck zu mir, nicht zu Dir!“ stabilisieren soll, verstärkt das Phänomen. Identitätsbemühungen von Individuum und Kultur gehen paradoxerweise im anfänglichen Ringen um Tiefenstruktur, Sinn und Bedeutung immer weiter unter. Das allseits bunte Bügeleisen macht auch vor fraktalen Rüschen oder mehrdimensionaler Kunst keinen Halt, und aus einer Sprache, die den Austausch will, wird nach und nach Marketingsprech. Der Freund wird zum Kunden am eigenen „Schau mich/nicht Dich an“ und das überall. Was geliefert wird, muss bedienen. Die Konfliktbelastung, die daraus für den Einzelnen resultiert, lässt zunehmend immer weniger Freiraum für evolutionär förderliche Konflikte – der durch die anhaltende Fragmentierung von Sozialsystem und Bewusstsein entstehende Dauerstress kann nur im entsprechenden Burnout münden. Die Überforderung leistet ihren Anteil, Bedeutung zu reduzieren und die Fragmentierung zu steigern. An Slit kann man solch einen Ausgang direkt nachvollziehen. Es zerfasert immer mehr, bricht immer weiter, Bedeutung ist nur noch mit und im Widerspruch zu finden, dann zerfällt es zu Staub und der Zirkus beginnt von vorn.


Es ist nicht möglich, Systeme wie Slit von außen zu verändern – doch auch von innen muss man sich genau ansehen, ob das Medium, auf dem sich die Form ausbildet, eine Veränderung überhaupt zulässt. Facebook gehört sicherlich nicht zu den Medien, die dafür gebaut wurden, einen kreativen Konterdrive zu erlauben. Aber, Facebook ist ja auch nur ein Beispiel für Slit im Kontext umfassenderer systemischer Strukturen, und gesamt betrachtet kann ein weniger triviales Alternativangebot funktionieren. Ein solches Angebot wären Medien, die sich wie CoOneAnother organisieren. Dort wirkt nicht das narzisstische Dilemma, sondern eine emergente dreidimensionale Konfliktstruktur, die allerdings für diejenigen, die an Slit-Formen gewöhnt sind, eine ordentliche Herausforderung darstellt, welche die Kraft von einigen erst einmal übersteigen könnte: Die psychische Evolution ist von der sozialen nicht zu trennen (siehe uFORM iFORM), und wie Slit organisierte Systeme kommen nicht von ungefähr; sie liegen in unserer Natur und reflektieren sich in unserer Sprache!


Die gute Nachricht ist allerdings, dass das für Systeme, die sich wie CoOneAnother organisieren, ebenfalls gilt: Auch sie liegen in unserer Natur, sind Folge unserer Art zu entscheiden, und es ist nur die Frage, wie viele sie wie sehr gewöhnt sind und in welchen Umfeldern sie sich etablieren, damit sie attraktiv genug werden, auch diejenigen zu entspannter Mitarbeit zu motivieren, die sich sonst kognitiv und kommunikativ eher in Slit-ähnlichen Strukturen bewegen. Ein zentraler Druckpunkt ist eine von der Ontolgoie befreite Sprache, die Kontingenz- und Komplexitätsbewusstsein zu tragen vermag.


Wie man unschwer an CoOneAnother erkennen kann, bilden sich Inseln, die man als KK-Inseln, als Konflikt/Kooperations-Inseln, begreifen kann. Erst beide zusammen, Konflikt und Kooperation, schaffen die Basis für Evolution. Solche Inseln können kurzfristig oder langfristig sein – das Faszinierende ist, dass sie sich auflösen, aber dass sie auch immer wieder neu entstehen. Die Interpretation solcher Inseln ist vielfältig möglich – wichtig ist, dass der asymmetrische Konflikt differenzierende und dimensionierende Kraft hat. Er kann sich nach außen hin abgrenzen (beispielsweise über eine gemeinsam erkannte/anerkannte/konstruierte Gefahr), er kann durch ein gemeinschaftliches Ziel gekennzeichnet sein, er kann durchaus auch in zerstörerischen Auseinandersetzungen münden, aber seine für das System langfristig gestalterische Kraft verhindert die in Slit erkennbare Fragmentierung.


CoOneAnother trägt, wie der Name bereits sagt, kooperative und damit kreative Kraft. Der Narzissmus des symmetrischen Slit wurde durch ein konstruktives und gesprächsbereites Klima ausgetauscht, in dem man ins Gespräch kommt, weil die Perspektive des anderen noch interessanter ist als die eigene. Statt „Guck mich, nicht Dich an/Nein, guck mich, nicht Dich an“ kann ein Ich-bin-okay/Du bist okay/und wir können gemeinsam noch besser werden eine Konfliktstruktur (er)tragen, die tatsächlich als Ressource genutzt werden kann. Tiefere Analysen von CoOneAnother, bei denen man in die Bedeutung der Farben und Muster vermittels des Studiums von uFORM iFORM hinein geht, zeigen, dass es dafür auslösende Gründe (komplex) gibt; imaginäre Linien zum Beispiel, die auf eine spezifische FORM treffen und dann Inselbildung motivieren. Wissenschaftliches Interesse kann ein solcher Auslöser sein, Kreativitätsbedürfnis, ein gemeinsamer Feind, eine globale Katastrophe, aber eben auch ein ganz allgemeines „Lasst uns die Welt zu einer besseren machen“ – vorausgesetzt, die Gesprächspartner bringen in einer notwendigen Zahl (die nach dem, was ich gehört habe, mehr als 20% sein müssen) die Kraft dazu mit, sich über den eigenen narzisstischen und faschistoiden Impuls zu erheben. Der Rest kann dann mitgetragen werden.


Wie Slit hat CoOneAnother eine eigene Kraft: Ist sie erst einmal initialisiert, bezieht sie sich auf sich selbst, organisiert sich selbst, strukturiert sich selbst, bildet Inseln aus, lebt, atmet, wächst und gedeiht.




Zusammenfassung:


Das Bunte an Slit verfälscht den Eindruck. Das Neue, was man am Bunten zu erkennen meint, ist nicht neu. Der Widerspruch, der das Gespräch bricht, hat keine Tiefe. Eine neue Mode ist kein Emergenzsprung, es ist nur Mode. Die Brechungen erzeugen keinen innovativen Konflikt. Das System initiiert sich neu, aber es ist immer nur wieder dieselbe Kirmes. Man geht jedes Jahr erneut in der Hoffnung dahin, dass etwas Neues passiert, etwas Wichtiges, das man noch nicht erlebt hat, etwas, worauf man sich beziehen muss. Aber genau das geschieht nicht, und an den Brechungen und den damit verbundenen Frustrationen erschöpfen sich Mensch und System. Auf Menschen haben solche Systeme suchterzeugende Wirkung.
Systeme dieser Art bilden keine sinnhaften Linien aus. Sie selegieren ohne engzuführen, ohne konkrete Alternativen zu bieten. Bei den Systemen aber, die Sinn ausbilden (wie CoOneAnother) entsteht für viele das Problem, das sie formaler aussehen, nicht so bunt. Sie ändern nicht ständig ihr Gewand und wirken deshalb auch nicht so interessant – auf manche wirken sie wegen der Herausforderung an Intellekt und Gefühl sogar bedrohlich.
Was hier aber passiert, das ist von der Struktur her kontinuierlich etwas anderes: andere Probleme, andere Problemlösungen, andere Adern der Probleme, andere Behandlungen der Probleme selbst schon auf Beschreibungsebene. Nur, dass diese Sinnbildungen nicht so schillernd bunt eingefärbt sind wie bei Slit. Dafür haben sie aber Tiefe und sozial eine viel höhere Anschlussfähigkeit.
In CoOneAnother braucht es Eigenkreativität. Slit wirkt motivierender, unterhaltsamer, auch wenn es am Ende nichts hervor bringt als immer wieder dasselbe. Das zugrundeliegende Prinzip ist nicht so selbstregulierend. Die anderen Systeme aber leisten etwas, was Slit-ähnliche nicht leisten können. Sie bilden sich selbst organisierende, Sinn konstituierende Strukturen aus, die auch entsprechende Entscheidungen fällen.
So kann man sagen, dass Slit einen leicht unterhält und es auch einflussreich aussieht, aber es ist einfach nur bunt, das ist alles. CoOneAnother ist in seiner selbstorganisierenden Leistung viel schwerer zu verstehen, aber die Errungenschaften der Kommmunikation, die CoOneAnother zustande bringt, müssen von der Komplexitätsverarbeitungsfähigkeit her höher eingestuft werden als Slit.


Slit kennen wir seit Jahrtausenden – es ist ein Massenphänomen. Es wird Zeit Systemstrukturen hervorzubringen, die höhere Komplexitäten verarbeiten können. Die Bildung solcher Strukturen lässt sich initiieren.


 


In diesem Sinne: Fröhliches Bloggen … auf den Konflikt kommt es an!