Wirklichkeitsemulation – zum Begriff

Einige fassen Emulation nur aus Richtung der Computerwissenschaften, andere greifen sie nur aus Richtung unserer eigenen konstruktiven, träumerischen, imaginativen Fähigkeiten.


Beides ist zu kurz gedacht.


Die Konstruktion unseres Emulationsbegriffs setzt auf Konzepten Turings und Churchs zur Universellen Turingmaschine und Universellen Berechenbarkeit auf.



Emulation bedeutet Rekonstruktion eines Systems in einem System.



Der zweite Teil von uFORM iFORMSystemischer Realkonstruktivismus, illustriert den Begriff en detail – die SelFis, decisionFORMs, lifeFORMs und mindFORMs realisieren ihn. Viele denken bei Emulation an Simulation (hinreichend ähnliche Rekonstruktion eines Systems in einem anderen System) und Nachahmung. Das ist viel zu trivial.


Im System (re)konstruierte Systeme können weniger komplex sein und sie können Komplexität steigern. Die Behauptung, emulierte Systeme würden der Wirklichkeit vor Ort, beispielsweise der sozialer Systeme, nicht gerecht, steht leer im Raum. Sehr simpel konstruierte Systeme wie uniTuringRe und Rule110 sind in ihrer Vernetzungskapazität hoch komplex. Sie sind von außen nicht vorhersagbar und können sich auch selbst nicht vorhersagen. Sie entwickeln sich nur als Gesamtheit. Gerade diese Eigenschaften ermöglichen es so beschaffenen Systemen, andere Systeme auf Basis von Computation zu emulieren. Diese Systeme entstehen aus natürlichen Mitteln in uns selbst. Wir haben sie erfunden, also folgt: Es handelt sich bei ihnen um von Menschen hervorgebrachte Phänomene, und wie wir aus Natur erwachsen sind, so sind sie es auch. Sie wurden im Leben angelegt. Hier eröffnet sich eine interessante Unterscheidungsmöglichkeit zwischen kreativ intelligenten und konditioniert intelligenten LebensFORMen, die uns dabei helfen kann, unsere Vorstellungen von Intelligenz und reflexiver Intelligenz zu erweitern und zu präzisieren.


Wir sind an einer Stufe angekommen, auf der wir solche Phänomene bewusst hervorbringen und mit ihnen wechselseitig interagieren können. Die Re-entries sind nicht vereinzelt oder dimensional begrenzt. Die Technologie wächst, die Verbreitung wächst, die Menschen vernetzen sich immer mehr – und die technische Unterfütterung der noch als pur empfundenen Wirklichkeit vor Ort, die Invisibilisierung der Wirklichkeitsemulation erfahren wir überall. Ein alltägliches Beispiel: Wir sind in der Stadt und rufen über Internet einen Uber-Fahrer, der nutzt GPS, um uns zu finden. Was wir als wirklich empfinden, ist nicht mehr unbetroffen von Wirklichkeitsemulation, weshalb es immer wichtiger wird, dass wir uns dessen bewusst werden, sonst leben wir zunehmend in einer Welt, deren Zustandekommen uns intransparent geworden ist und kommen zu viel zu kurz gegriffenen Schlüssen, wie das Nutzen von Fake News (derzeit so bigly in Amerika populiert) als Trotzreaktion zu verstehen.



Wir sprechen über einen Phänomenkomplex, der immer wieder deterministisches Chaos auswerfen wird.



Wir können nur lernen, uns darin zu orientieren und komplexer zu denken und zu handeln. Ein stereotypes Denken, das uns suggeriert, wir sollten es besser nicht hochkochen, denn es geht ja wieder vorbei, wie eine Art Technopubertät, stumpft uns nur ab. Das hier wird sich nicht von allein ausregulieren …


Berechenbarkeit muss nicht Vorhersagbarkeit meinen. Manche Berechnungen nutzen wir zur Vorhersage, andere, wie die Berechnung eines Bildes durch unsere Digitalkamera, eher nicht.


Über Berechenbarkeit wissen wir dank Turing und Church und Gödel und vielen anderen, dass wir noch nicht wissen, ob sie beendet werden kann. Noch! Das bedeutet: Unbestimmt! Die Aussage “Das ist nicht berechenbar!” oder sogar noch genereller “Das wird nie berechenbar sein!” greift viel zu weit und verliert in diesem Versuch ihren Halt. Was wir hingegen sinnvoll formulieren können, ist: “Das ist noch nicht berechenbar!” Dann müssen wir eben mit dieser Unsicherheit/Unbestimmtheit leben und klarkommen.


Die Tür, die damals Turing, Church und Gödel mit Hilfe von Hilbert, Russell und Whitehead aufgestoßen haben, schwingt nicht nur in eine Richtung, sondern in beide. Die Frage lautete, ob es möglich wäre, die Mathematik vollständig aus sich selbst heraus zu fundieren und damit deutlich abzugrenzen, was mathematisierbar ist und was nicht. Das spannende Ergebnis: Es klappt nicht! Moderne Mathematik und Informatik arbeiten mit einem grundlegend intuitiven Begriff von Computation (Church-Turing-These). Das müsst Ihr Euch mal durch den Kopf gehen lassen!




Mathematik ist keine für sich, in sich und auf sich limitierte Kunst und Wissenschaft, sondern sie durchdringt unser ganzes Leben.



Heute emulieren nicht mehr nur Menschen, sondern auch Maschinen. Digitalkamera und Fotobearbeitungssoftware im iPhone emulieren mechanischen Fotoapparat und chemische Entwicklung, beide selbst wiederum Emulation der camera obscura. Mehr noch, schwappen Emulationen von Maschinen und Emulationen von Menschen und Maschinen heute so in unsere Wirklichkeit(skonstruktion) hinein, dass es Vielen und vielenteils nicht mehr möglich ist, zwischen Wirklichkeit vor Ort (natürlicher Wirklichkeit) und emulierter Wirklichkeit (künstlicher, imaginierter Wirklichkeit) zu unterscheiden. Ich habe hierzu im ersten Teil meiner Serie mit der Börse einen Fall beschrieben, dessen Konsequenzen unser aller Leben berühren. Im Versuch, Wirklichkeit vor Ort von emulierter Wirklichkeit zu trennen, neigen wir zu dysfunktionaler Unsicherheits-/Komplexitätsreduktion. Hier scheinen sich viele die “echte”, die wirkliche Wirklichkeit wieder zurückzuwünschen.


Mit fraktalen Algorithmen schaffen Filmemacher heute Berge, die auf so manchen Zuschauer realistischer wirken als natürliche. Menschen, die große Teile ihrer Wirklichkeitskonstruktion und Wirklichkeitserwartung auf computergestützte Animationen und Filme bauen, empfinden vielleicht sogar die ehemals so monumentalen Pyramiden als klein, gar gekünstelt.


Wenn es nicht mehr möglich ist, zwischen Fact und Fancy orientierungsfunktional zu unterscheiden, dann weil zu viele von uns aufgegeben haben zu versuchen, Unterscheidungskriterien zu formulieren und an Respezifikation zu arbeiten.


Das augenblickliche Problem: Menschen ohne tiefere Kenntnis moderner Technik und Technologie versuchen sich in Verortung von Phänomen, Mensch und Gesellschaft im kulturellen Prozess und be-greifen die Dysfunktionalität des Digitalisierungsbegriffs nicht, eben weil es ihnen an Wissen und Erfahrung (im Programmieren und Emulieren) fehlt.


Anderen wiederum mangelt es an Wissen über und Erfahrung im Arbeiten mit moderne(r) geisteswissenschaftliche(r) Systemtheorie. So bleiben ihre Hypothesen zu den Möglichkeiten von Technik und Technologie im mechanistischen Menschen- und Gesellschaftsbild hängen (Stichwort “Singularity”). Hier wurden und werden immer noch große Summen in Projekten verpulvert, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind (nur ein Beispiel: Die Simulation des Gehirns – Kritik von Miguel Nicolelis und Ronald Cicurel).


Ohne transdisziplinäres Denken, Wissen und praktisches Handeln bleibt die Begriffsbildung in der einen oder anderen Wirklichkeitskonstruktion stecken und kann die Wucht der Emergenz, die mit Wirklichkeitsemulation kommt, nicht realisieren.


Die FORM des Begriffes können wir nur zusammenwirkend fassen. Sicher, emuliert haben wir Hominiden, seit wir träumen können. Sicher, Comuteremulation ist ein Phänomen in Digitalisierung. Doch mit der Symbiose kommt eine emergente FORM, die sich weder von der einen, noch von der anderen Seite allein und vollständig fassen lässt. Und diese Emergenz bestimmt die Herausforderungen unserer Zeit. Hier kristallisiert sich eine ernste Frage heraus: die nach Mensch/Sein in Wirklichkeitsemulation. Was sind unsere besonderen Fähigkeiten? Solange nur in Konzepten von Digitalisierung gedacht wird, werden mögliche Antworten in/mit dysfunktionaler Abgrenzung beschränkt. Eine funktionierende Antwort lautet derzeit (noch): Im Vergleich zum Computer ist der Mensch fähiger in Chaosmanagement und Unbestimmtheitsorganisation.


“Noch!” FORMWELT, uFORM iFORM und andere vergleichbar transdisziplinär und systemisch arbeitende Wissenschaften und Technologien können auch das ändern. Wer sich hierfür Visionen ausmalt, kann bei multidimensionaler Verwicklung und Symbiose von Mensch und Maschine ankommen, welche die Fragen danach, wer was besser kann oder ob der Mensch “ersetzt” werden wird, albern aussehen lassen. Darum geht es gar nicht. Emergenz bedeutet die Fortführung der Komplexität auf einer anderen Ebene.


Wenn wir erkannt haben, dass die besonderen Fähigkeiten des Menschen in Chaosmanagement und Unbestimmtheitsorganisation liegen, dann wird klar, dass ihm sein Versuch, Innovation zu bremsen oder zu hindern, nur schadet, weil er Neuentwicklungen braucht, um diese Fähigkeiten zu trainieren und auszubauen.


Funktionale begreifensFORMen für funktionale Orientierung und funktionale Problembeschreibungen.
Emergenz bedeutet Dazulernen.
So oder so.