The Potential of Relationship
Paul Watzlawick
My only meeting with Carl Auer was purely coincidental: 1977 on the shore of Killaney Bay, south of Dublin. It was about 5 o’clock in the afternoon and I had just finished a two-day seminar. The participants were satisfied with my pearls of wisdom and the meeting dissolved itself in satisfaction, so to speak. Tired from those long hours of work, but even more so from the long flight and the time difference from San Francisco, I walked down the narrow path leading from the hotel to the sea and sat on one of the benches along the promenade. Probably like anyone who visits this area for the first time, I was struck by its almost Mediterranean beauty: a deep-blue, calm sea, embraced by two promontories, palm trees, flowering magnolias, the soft light of the setting sun from behind, warmth, silence. One of those rare moments when we feel in tune with it all – and when for once the intellect is not trying to find out what that ”it” is.
And then suddenly, behind me, an ugly, unmistakable noise. Somebody has started kicking around an empty can. Does this always have to happen? – Every time that, for a brief moment, we are blessed to participate in that harmony, there comes some Neanderthal man and spreads acoustic stench from his transistor radio or rapes the silence with his motorcycle or with beer cans! I wait, hoping for the noise to cease, and eventually turn my head to murder this moron with my looks – and in the fraction of a second my mood turns into its opposite. For who is kicking that beer can around is a medium-sized, black dog. Never in my life have I seen an animal play with such abandon and virtuosity, with such total joy. I watch him until my neck starts to hurt and I turn my head again towards the sea. The noise behind me goes on, just like before – but now it is part of the harmony. And then a sudden thought: you twerp – you manage to write learned books on the construction of realities, and when you catch yourself in the process, you are all surprised. . . .
The frail, elderly gentleman on the next bench must have been watching my face and its sudden change from icy anger to blissful delight. Oh no – now he thinks he has to start a conversation. His English has the same accent as mine, and therefore I answer in
Austrian German. With this tactical mistake I really get him going. But what he says has somehow firmly remained in my memory.
”How is it possible that animals can have such power over us?“ It is as if he were talking almost to himself; as if my presence were irrelevant. ”I was seven years old when a stray tom cat invited himself into our house. A real beauty – silky black fur, unfathomably deep, yellow eyes. My first extrafamilial relationship object, as the psychologists would probably ‘explain’ it. Be that as it may, his arrival changed my world. Parents, relatives, school, priests, they all had been tampering with me in order to turn me into the person I ‘should’ be. The cat beat them all. With calm self-confidence he taught me how he wished to be treated, what he considered pleasant, what unpleasant. His purring, the way he rolled over on his back and stretched himself luxuriously, approving my caresses or correcting them, briefly touching my lips with his paw after having sat down on the book I was reading – no present and no demonstration of love on the part of the grown-ups came anywhere near what went on between the cat and me. Somehow he managed to take me into another world in which only he and I existed.“
He falls silent, and I don’t know what to say. Then: ”Two years later he suddenly began to cough. There were no antibiotics yet in those days. One morning I found him dead on his little bed down in the basement.“ He is silent again; then in a shaky voice: ”I remember that all I could think was: Never, never again must I permit myself to love like that. This pain is unbearable. – And yet, it was the beginning of my gradual understanding of the immense potential of and the inexhaustible ’realities’ created by relationships. – And now, I look at today’s youngsters and I shiver at the realization that their ’first extrafamilial relationship object’ is the home computer and their source of inspiration the television screen. . . .“
The sound of an engine behind us; a short honk. ”Oh, my taxi.“ He gets up; a brief polite nod: ”Carl Auer – good evening.“ And he hurries away. What – the Carl Auer?? – I should have run after him . . .
Die Möglichkeit von Beziehungen
Paul Watzlawick
Meine einzige Begegnung mit Carl Auer war eine rein zufällige: 1977, am Ufer der Killaney-Bay, südlich von Dublin. Es war ungefähr fünf Uhr nachmittags, und ich hatte eben ein zweitägiges Seminar glücklich hinter mich gebracht. Die Teilnehmer waren mit den Perlen meiner Weisheit zufrieden gewesen, und die Versammlung hatte sich sozusagen in Wohlgefallen aufgelöst. Ermüdet von der Arbeit, aber noch mehr vom langen Flug und dem Zeitunterschied zu San Francisco, ging ich den schmalen Pfad vom Hotel hinunter zum Meer und setzte mich auf eine der Bänke an der Uferpromenade. Wie wohl jeder, der zum ersten Mal diese Gegend besucht, war ich von der fast mediterranen Schönheit der Landschaft überrascht: Ein blaues, stilles Meer, umarmt von zwei Landzungen, Palmen, blühende Magnolien, das weiche Licht der Abendsonne aus dem Westen, Wärme, Stille. Einer jener seltenen Augenblicke, in denen es stimmt und in denen der Intellekt einmal nicht herauszufinden versucht, was jenes „es“ ist, das da „stimmt“.
Und dann plötzlich, hinter mir, ein häßlicher, unverkennbarer Lärm. Jemand hat begonnen, mit einer leeren Bierdose Fußball zu spielen. Muß denn das immer so sein? Immer wenn man für kurze Zeit an der Harmonie teilhaben darf, kommen irgendwelche Neandertaler und verbreiten akustischen Gestank aus ihren Transistorradios oder vergewaltigen die Stille mit ihren Motorrädern oder eben Blechdosen. Ich warte, hoffe, daß der Lärm endlich wieder aufhört, und blicke schließlich nach hinten, um den Kerl mit meinen Blicken zu töten – und im Bruchteil einer Sekunde schlägt meine Wut ins Gegenteil um. Denn wer da mit der Bierdose Fußball spielt, ist ein mittelgroßer, schwarzer Hund. Noch nie habe ich ein Tier mit solcher Hingabe und Virtuosität spielen sehen, mit solcher Freude. Ich schaue ihm zu, bis mir der Nacken zu schmerzen beginnt und ich mich wieder dem Meer zuwende. Der Lärm hinter mir geht weiter, wie früher – aber nun ist er Teil der Harmonie. Und dann plötzlich der Gedanke: Du Trottel, da schreibst du gelehrte Bücher über die Konstruktion von Wirklichkeiten – und wenn du dich selbst dabei erwischst, bist du ganz überrascht.
Der schmächtige, ältere Herr auf der Bank neben mir muß mir am Gesicht abgelesen haben, wie mein eisiger Zorn in Freude umschlug. Ach du liebe Zeit – nun glaubt er, Konversation machen zu müssen. Sein Englisch hat denselben Akzent wie meines; also antworte ich ihm in österreichischem Deutsch. Mit diesem taktischen Irrtum bringe ich ihn erst so richtig in Schwung. Und was er sagt, ist mir irgendwie fest im Gedächtnis geblieben.
„Worin liegt bloß die Macht, die Tiere über uns haben?“ Er spricht es vor sich hin; fast als ob mein Zuhören belanglos sei. „Sieben Jahre war ich alt, als uns ein Kater zulief. Eine richtige Schönheit – seidiges schwarzes Fell, unergründlich tiefe, gelbe Augen. Mein erstes, nichtfamiliäres Beziehungsobjekt, wie die Psychologen dies vermutlich ‘erklären’ würden. Wie dem auch sei, mit seiner Ankunft änderte sich meine Welt. Eltern, Verwandte, Schule, Priester, sie hatten alle schon längst an mir herumgebastelt, um aus mir den Menschen zu machen, der ich sein ‘sollte’. Der Kater schlug sie alle. In ruhiger Selbstsicherheit brachte er mir bei, wie er behandelt werden wollte, was ihm gefällig, was unangenehm war. Sein Schnurren, wie er auf den Rücken rollte, sich wohlig streckte und mein Streicheln akzeptierte, beziehungsweise es verbesserte, das kurze Auflegen seiner Tatze auf meine Lippen, nachdem er sich vor mir auf das Buch hingesetzt hatte, das ich las – kein Geschenk und keine Liebesbezeugung seitens der Erwachsenen war auch nur im entferntesten dem vergleichbar, was zwischen dem Kater und mir vorging. Er versetzte mich irgendwie in eine völlig andere Welt, in der nur er und ich lebten.“
Er schweigt, und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dann: „Zwei Jahre später begann er plötzlich zu husten. Damals gab es noch keine Antibiotika. Eines Morgens fand ich ihn tot in seinem Bettchen im Keller.“ Wieder Schweigen; dann mit unsicherer Stimme: „Ich erinnere mich, daß ich nur eines denken konnte: Nie, nie wieder darf ich mir erlauben, so zu lieben. Dieser Schmerz ist unerträglich. – Und doch war es nur der Anfang meines langsamen Begreifens der enormen Möglichkeiten und der unerschöpflichen ’Wirklichkeiten’, die in Beziehungen liegen. – Und nun sehe ich mir die heutige Jugend an, und es schaudert mich, wenn ich daran denke, daß ihr erstes nichtfamiliäres Beziehungsobjekt der Computer, und die Quelle ihrer Inspiration der Fernseher ist . . .“
Motorengeräusch hinter uns; ein kurzer Hupton.
„Ah, mein Taxi.“ Er steht auf; ein kurzes, höfliches Nicken: „Carl Auer – guten Abend.“ Und eilig geht er weg.
Was – der Carl Auer?? – Ich hätte ihm nachlaufen sollen . . .